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Technologieoffenheit – nur bis die beste Lösung gefunden ist?

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| Rupert Klein | Alltag+Gesellschaft

Dass Technologieoffenheit für einen Wirtschaftsstandort wie Deutschland eine gute Strategie ist, scheinen die meisten politischen Parteien unterschreiben zu können. Ein- oder wenig-gleisigen Entscheidungen für die eine oder andere Technologie in bestimmten Bereichen liegt aus meiner Sicht aber ein durchaus brisanter Irrtum zugrunde.

Die beste Lösung ist schwer zu finden – und kann sich ändern

Nehmen wir als Beispiel die kürzlichen intensiven Diskussionen und politischen Weichenstellungen rund um „Verbrenner-Aus” und E-Mobilität oder rund um das „Ende von Öl- und Gasheizungen” und Wärmepumpen. Eindeutige politische Regelungen zugunsten von E-Mobilität im einen und Wärmepumpen im anderen Fall bahnten sich an, weil sich diese Optionen als die energetisch effizientesten im Wettbewerb der Technologien herauskristallisiert haben oder zu haben scheinen. Es scheint die Vorstellung vorgeherrscht zu haben, dass Technologieoffenheit so lange zu pflegen sei, bis „die beste Lösung” für ein Problem gefunden ist. Gleichzeitig wird das Maß für „das Beste” sehr eng, anhand von Energieeffizienz (und evtl. noch Umweltfreundlichkeit im Sinne niedrigen Schadstoffausstoßes) definiert. Diese Vorstellungen greifen aus mindestens den folgenden Gründen zu kurz:

  • Der Erfolg beider genannter Weichenstellungen hängt davon ab, ob es gelingt die technologische Infrastruktur Deutschlands in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit auszubauen. Es scheint z.B. klar zu sein, dass unser derzeitiges Stromnetz einen Umstieg auf Elektromobilität in großem Stil nicht flächendeckend verkraften könnte [1]. Neben Nord-Süd-Hochleistungstrassen zum Transport des offshore-Windstroms muss also auch die lokale Stromverteilung – per Hard- oder Software - massiv ertüchtigt werden. Wo wir mit dem Ausbau der Glasfasertechnologie nach Jahrzehnten liegen, ist ja bekannt. Der zitierte Artikel [1] berichtet, dass es schon bei einem E-Mobilanteil von 8% in manchen Regionen zu Instabilitäten und Stromausfällen kommen könnte. Zwar zeigt er auf, dass sich solche Engpässe durch Investitionen in das Stromnetz und in eine intelligente Steuerung der Ladeinfrastruktur vermeiden lassen. Technologieentwicklung, Verbraucherverhalten, Gesetzgebung und Industrie müssen aber alle gleichzeitig an einem Strang ziehen, um solche Lösungen zeitnah zu realisieren. Ist es hinreichend sicher, dass das umgesetzt werden kann?
  • Viel wichtiger scheint es zu sein, dass Technologieoffenheit eben nicht nur der Suche nach der „einen besten Lösung” dient, sondern vielmehr der Robustheit eines Systems gegen Unwägbarkeiten [2]. Es ist ohnehin nie gut, nur eine Option zu haben, denn das macht technologische Systeme leicht angreifbar, durch Unbilden der Natur, nicht kontrollierbaren (oder gesteuerten) Rohstoffmangel, militärische Aggression oder andere Unwägbarkeiten.
  • Es ist aber auch naiv anzunehmen, dass es für technologische Systeme „die eine beste Lösung” gebe. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse können eine Entscheidung, die heute im genannten Sinne richtig wäre, morgen schon wieder in Frage stellen. In einem solchen Fall ist es viel effizienter, marktgesteuert durch die Verschiebung von Gewichtungen zwischen Technologieoptionen reagieren zu können, als eine Industrie einzustampfen und eine neue aufzubauen, oder sogar überhaupt nicht zu reagieren. 
  • Im gleichen Kontext ist die einseitige Fokussierung auf „Effizienz” bei der Entscheidungsfindung zu sehen: Sicher, derzeit ist grün erzeugte, nutzbare Energie noch relativ knapp und da passen „Energiesparen” und „strikt auf die energetisch effizientesten Technologien setzen” als Leitlinien gut zusammen. Was aber, wenn der Umbau der Gesellschaft, der zur Realisierung notwendig ist, auf zu große Widerstände stößt oder wenn Rohstoffengpässe die Umsetzung mancher Konzepte im großen Stil verhindern? War es das dann? Oder auf welche „bestmögliche Technologie unter den neuen Nebenbedingungen” soll dann gesetzt werden? Es wird klar, einseitig auf „den einen – scheinbar alternativlosen - Weg” zu setzen ist unsicher, vielleicht sogar gefährlich.

Beispiel Verkehrswende:

Nur auf E-Mobilität setzen ist zu einseitig gedacht

Als Denkanstoß, hier ein alternatives Szenarium im Bereich Mobilität. Auf dem heute eingeschlagenen Weg müssen sehr viele Hindernisse gleichzeitig aus dem Weg geräumt werden: Es braucht Ladeinfrastruktur; lokale Stromnetze, die Abermillionen von E-Fahrzeugen verkraften; Stromtrassen, die den grünen Strom effizient im Land verteilen und robust gegen diverse äußere Einflüsse sind; Lösungen für ländliche Bereiche; Batterien, deren Produktion im großen Stil nicht zu weiteren Umweltsünden in den die benötigten Rohstoffe liefernden Ländern führen; allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz der Gesamtrichtung dieses Wandels und vieles mehr. 

Wenn es aber stimmt, wie oftmals zu lesen ist, s. z.B. [3], dass grüner Strom mit dem weiteren Ausbau im Vergleich zu fossil oder atomar generiertem Strom schnell billiger werden könnte, dann sind wir vielleicht eher in der Lage, „Überkapazitäten” für die Gewinnung von E-Fuels in sonnen- und windreichen Regionen aufzubauen und die Brennstoffe über das existierende Netz zu verteilen, als dass wir die obige lange Liste von notwendigen flankierenden Maßnahmen alle rechtzeitig umgesetzt bekommen. Übrigens gibt es über die leider oft verschmähten plug-in-hybrid-Technologien ja auch die Option, das eine (elektrischer Antrieb) zu tun ohne das andere (E-Fuelverbrenner) zu lassen. Und übrigens würde man mit einer solchen Strategie die eigene politische Unterstützung verbreitern, anstatt sich gegenseitig auf europäischer Ebene zu blockieren, wie es der Ampel beim Verbrennerausstieg geschah.

Ernsthafte Technologieoffenheit erfordert engere Kooperation

Technologieoffenheit ist daher für einen wissenschaftsstarken Wirtschaftsstandort eigentlich unabdingbare Voraussetzung, sich im internationalen Wettbewerb halten zu können und um zukunftssicher zu bleiben. Es scheint mir eine viel offenere, engere und konstruktivere Kommunikation und Kooperation zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft im Ganzen zu benötigen, als wir sie heute zu haben scheinen, um echte Technologieoffenheit in kritischen Bereichen realisieren und nutzen zu können. Konkret heißt das: die regierende Ampel muss hier vorangehen, will sie nicht, dass ihre Reformen schon im eigenen ideologischen Kreuzfeuer auf der Strecke bleiben.

[1] https://www.virta.global/de/blog/faktencheck-uberlasten-e-autos-wirklich-unser-stromnetz

[2] J. F. Padgett, Chr. K. Ansell, Robust Action and the Rise of the Medici, AJS Volume 98 Number 6 (May 1993): 1259-1319

[3] Chr. Kost, Studie: Stromgestehungskosten Erneuerbare Energien, Fraunhofer ISE (2021)

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