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Das fossile Imperium schlägt zurück

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| Redaktion "Geradegerückt" | Politik

Claudia Kemfert ist eine anerkannte Ökonomin und seit vielen Jahren engagierte Streiterin für die Energiewende, weg von fossilen und hin zu erneuerbaren Energien. Die Abteilungsleiterin Energie, Verkehr und Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und ordentliche Professorin für Energiewirtschaft und -politik an der Universität Lüneburg schrieb schon 2017 – zum ersten Amtsantritt von Donald Trump – eine Streitschrift: „Das fossile Imperium schlägt zurück. Warum wir die Energiewende verteidigen müssen“ (143 Seiten, Murmann Publishers, Hamburg). 

Mit Fake News schlägt die fossile Lobby zurück

Sie konstatierte damals ein „dramatisches Comeback fossiler Energien“ in den USA und auch im Rest der Welt. Selbst in Deutschland seien „die fossilen Energien wieder auf dem Vormarsch“. Sie würden weiter mehr gefördert als Erneuerbare, die fossile Lobby wehre sich gegen die Fakten, dass fossile nur begrenzt vorhanden und teurer sind, die Atmosphäre verschmutzen usw. Die Fake News bewirkten,  dass die fossilen und atomaren Kraftwerke weiterlaufen, um den Industrien viele Milliarden einzubringen.

Dabei gälte auch für die deutsche Energiewende: „Je kräftiger sie wird, umso stärker wird die Gegenwehr“ (S. 15). Deshalb müsse man genau hinschauen: „Mit welchen Ablenkungsmanövern drängen die fossilen Riesen die erneuerbaren Riesen vom Markt? Welche wirtschaftlichen Interessen stehen hinter den energiepolitischen Verflechtungen?“. Denn trotz des Pariser Klimaabkommens von 2015 seien „die alten Argumente immer noch da. Schlimmer: Sie sind wieder erstarkt“ (S. 19). Dabei gehe es nicht um Klimaschutz, sondern „um den Überlebenskampf der Wirtschaftswelt von gestern“ (S. 21). Dies stimme für die Trump-geführten USA, aber auch in Berlin „startete das energiepolitische Rollback lange vor der Trumpwahl: … So hat die Politik den längst notwendigen Kohleausstieg verfehlt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu Tode novelliert und es versäumt, attraktive und verlässliche Regelungen für die neue Wirtschaftswelt zu schaffen“ (S. 25). Aller inhaltlichen Absurdität zum Trotz „scheuen sich die Gegner der Energiewende nicht, die immer gleichen Argumente vorzutragen, um den Siegeszug der erneuerbaren Energien aufzuhalten“ (S. 27).

Gefühlte Wahrheiten und Fake News sollen die Erneuerbaren aufhalten.

Schon 2017 schrieb Kemfert, der fossilen Lobby gehe es „ohnehin nicht mehr um Fakten, sondern nur noch um gefühlte Wahrheiten und Emotionen“ (S. 28) sowie um Fake News. Die Ergebnisse der Klimaforscher seien neutral und Mittel in einem demokratischen Willensbildungsprozess. „Um dagegen anzugehen, nutzt das fossile Imperium zwei Strategien: zum einen werden Wissenschaftler diskreditiert und ihre Forschungsergebnisse werden… in Zweifel gezogen. Zum anderen versuchen die fossilen Interessenvertreter, ihren interessengeleiteten Aussagen selbst den Anschein wissenschaftlicher Erkenntnisse zu geben“ (S. 31). Kemfert gab ein Beispiel von der marktradikalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), finanziert vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall.

Kemfert schrieb: „Es wäre fatal, das Feld allein den ökonomischen Interessen der fossilen Wirtschaft zu überlassen…. Wir alle sind aufgerufen, dem wieder salonfähig gewordenen Populismus mit sachlichen Argumenten entgegenzutreten … wer die Ablenkungsmanöver der fossilen Energiewirtschaft durchschaut, wer die Dinge hinterfragt und sich informiert, wird eine gut begründete Meinung vertreten können“ (S. 34f.). Entsprechend widerlegte die engagierte Energieexpertin in einem „Faktencheck“ gleich zehn postfaktische Energiemythen der fossilen Lobby (S. 39-124).

 2025: Fossile Lobby mit gleichen Interessen und gleichen Energiemythen.

Und jetzt der Hammer: Faktisch sind wir heute, acht Jahre später, wieder genau an dem Punkt wie 2017: Wieder regiert mit Trump ein Klimawandelleugner die USA, gemeinsam mit Techmilliardären und fossilen Konzernchefs. In der Ukraine führt „Fossilzar“ Putin einen aus Öl- und Gasprofiten gesponsorten brutalen Eroberungskrieg. In der EU wollen Konservative und Rechte den Green New Deal zurückdrehen und eine Renaissance der Kernkraft einläuten. Auch hierzulande attackieren Liberale, Konservative und Rechtsextreme die Energiewende, bejubeln Gas als „Brückentechnologie“ und Kernkraft als „saubere Alternative“. Und praktisch alle zehn Mythen, die Kemfert bereits vor acht Jahren gründlich widerlegt hatte, werden uns heute wieder aufgetischt. Deshalb ist es dringend notwendig, die zehn gängigsten Mythen erneut zu entlarven, mit Kemfert, aber auch mit einem aktuellen Blick auf unsere (Energie-)Welt. Das soll in diesem Beitrag – und weiteren elf – geschehen.

Die Mythen – oder Postfakten wie Kemfert sie nannte – lauten wie folgt:

  1. Die Energiewende ist bis 2022 nicht zu schaffen.
  2. Zielmarke 2025 – so weit im Voraus kann man nicht planen.
  3. Die Erneuerbaren Energien brauchen ein Tempolimit.
  4. Es drohen Blackouts (heute sagt man gern „Dunkelflaute“).
  5. Die Energiewende lässt die Strompreise explodieren.
  6. Es droht ein Kosten-Tsunami durch die Energiewende.
  7. Die Energiewende führt zu einer Deindustrialisierung in Deutschland.
  8. Wir brauchen keine Planwirtschaft – die Energiewirtschaft braucht Markt.
  9. Die Energiewende führt zur sozialen Verelendung.
  10. Mit seinem Alleingang isoliert sich Deutschland.

Beginnen wir mit dem ersten Mythos, dessen Datum 2022 bereits überschritten worden ist und dem zu Folge  die „Energiewende … bis 2022 nicht zu schaffen“ ist:

Der Atomausstieg sei, so Kemfert, „nur einer von vielen Teilschritten auf dem Weg zur Energiewende“ (S. 40), „die Energiewende ist ein Langzeitprojekt“ (die EU setzt für Klimaneutralität das Jahr 2050, die Bundesregierung 2045 an, d. Red.). Kohle, Gas und Öl „verursachen nicht nur große Umweltschäden, sondern sind auch nur begrenzt vorhanden… Atomare Energie ist mit extremen Risiken verbunden“ (S. 41), von Unfällen a la Fukushima bis zur Endlagerung. Bereits 2017 war der atomare Anteil am deutschen Strom auf 15% gesunken, über ein Drittel kam aus Erneuerbaren und die Hälfte aus fossilen Quellen (S. 42). Schon damals produzierte Deutschland Stromüberschüsse und hätte aus der Kernkraft aussteigen können. Dies geschah vor allem deswegen nicht, weil die AKW-Betreiber Laufzeitgarantien erhalten hatten (S. 43). Als uns 2022 Putin den Gashahn abrupt abdrehte, bekamen wir über die Hälfte unserer Energie aus Russland. Dem grünen Wirtschaftsminister gelang es, dieses Gas mit LNG- aus USA und Erdgas aus Norwegen zu ersetzen. Die Strompreisexplosion lag vor allem an der über viele Jahre gewachsenen einseitigen Abhängigkeit von russischem Gas und ist inzwischen stark zurückgegangen. Einer Verlängerung der Kernkraftwerke haben vor allem die Betreiber widersprochen, weil sie dafür teure neue Brennelemente hätten kaufen müssen – übrigens mit russischem Uran. Da Kernkraftwerke langsam gebaut werden, hohe Kosten und langdauernde Risiken verursachen,[1] wäre die Kernkraft keine Antwort auf kurzfristige Energieprobleme oder hohe Preise. Und es braucht sie gar nicht: Ende 2024 erzeugten Erneuerbare Energien bereits mehr als 55% des Stroms in Deutschland[2]. Die Erneuerbaren übernehmen immer höhere Anteile unserer Energieversorgung. Ohne Steinkohle, aus deren Produktion wir bereits 2018 ausgestiegen sind. Und zunehmend auch ohne Braunkohle, aus der wir spätestens im Jahr 2038, frühestens 2035 aussteigen werden.[3]

Fakt ist: Die Energiewende hin zu Erneuerbaren läuft bis 2045, aber sie ist auf gutem Wege: Erneuerbare verbilligen die Energie und stellen immer höhere Anteile am benötigten Strom.

 

[1] Zu Pro und Contra der Atomkraft siehe der fundierte Beitrag von Rupert Klein in diesem Schwerpunkt.

[2] Pressemitteilung BDEW vom 16.12.2024: Erneuerbare Energien erreichen neuen Höchstwert: gut 55% des Stromverbrauchs in 2024 gedeckt,

[3] Wissenswertes zum Kohleausstiegsgesetz des Bundes unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/gesetzesvorhaben/kohleausstieg-1664496, in NRW findet der Ausstieg 2030 statt.

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